Wie lautet Marcus Lindners neue Küchenphilosophie?
Er ist ein Star am Herd. Er blickt auf eine über 30-jährige Karriere als Top-Koch und Küchenchef zurück: Jetzt kocht Marcus G. Lindner im soeben eröffneten Designhotel «Bergwelt» in Grindelwald. Was tut er dort? Wie lautet sein neues Küchenkonzept?

Irgendwo in Wien. Irgendwann vor fünfzig Jahren. Aus der Küche klappert es rhythmisch, sodass nur noch ein Refrain fehlt, um daraus ein Kinderlied abzuleiten. Kurz darauf stellt die topfbehandschuhte Mutter den Schmaus auf den Mittagstisch, an dessen Kante sich hungrige Mägen drücken. Die herzhaften Düfte von Schmorbraten und Käsespätzle entweichen schon während des Schöpfens von der Holzkelle und steigen dem Sohn in die gewunderige Nase; als würden sie ihm in den Kopf setzen wollen: «werde Koch». Die frühste kulinarische Erinnerung von Marcus G. Lindner – und nicht zuletzt der Auslöser, den Beruf des Kochs zu erlernen, – ist die traditionelle, österreichische Küche seiner Mutter – der frottierende Duft von Daheimsein.
«Schon damals warnte man mich vor, der Kochberuf sei kein Zuckerschlecken, gerade deshalb erschien mir dieser umso reizvoller», erinnert sich der 59-Jährige, der seit diesem Sommer schmorend, grillierend oder dämpfend Düfte in die gebirgige Gegend entlässt: er ist der Küchenchef im neuen Designresort «Bergwelt», das eröffnete, als sich im Juni die weissen Pixel des Digitalkalenders zu einer «11» formierten.


Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass der Rebell aus ihm emporstach wie die Flamme am Gasbrenner bei noch so flüchtigem Kontakt mit dem lodernden Streichholz. Früher noch mehr als heute, da oftmals marketingkomponierte synthetische Duftflotten die Nasenflügel am olfaktorischen Höhenflug hindern, hatte jeder Ort seinen eigenen Geruch. Denn nimmt die Nase einen Duft auf, analysiert der Riechkolben im Gehirn diesen, um die Information sowohl in das Gedächtnis wie auch das Emotionszentrum weiterzuleiten. Diese verknüpfen sich miteinander, weshalb jeder Duft ein bestimmte Emotion auslöst: Geruch und Gefühl liegen nahe beieinander.
Manchmal, da tritt ein Geruch so unverhofft zu einem Raum herein wie ein alter Kumpan, bei dem man sich längst melden wollte, bis man seine Nummer im Gleichgang mit älter gewordenen Gedächtniszellen vergessen hatte. Mit einem flüchtigen Nu tänzeln dann die unscharfen Szenerien von damals vor dem geistigen Auge. Es ist ein Gefühl von Vertrautheit, selbst wenn das Vergangene weit zurückliegt, übertüncht von der Intensität des Hier und Jetzt. In etwa dieses Gefühl, einen Bekannten wiederzusehen inmitten des Unbekannten, überkommt einen, wenn man die designte, aber keineswegs durchgestylte «Bergwelt Grindelwald» betritt. Allein der Eingangsbereich ist eine Entdeckung für sich: Schieben sich die Glastüren auf, findet man sich in einem Atrium aus Backsteinen wieder, in dem einem ein saurolithartiger, tranchierter Grindelwaldner Marmorfindling zu Füssen liegt. Dem Unbekannten nicht genug, ziehen sogleich geruchlose Nebenschwaden auf, sodass dessen Maserung mystisch verschwimmt. Man kann sich leicht vorstellen, dass inmitten des Schauspiels ein Hubschrauber auftaucht, von dem ein geheimer Agent in noch geheimerer Mission abspringt. Doch der Novembernebel zur Sommerzeit verzieht sich binnen Minuten und gibt die Sicht auf die Felsmassive frei. «Diese Höhe – das sind noch Berge!», kommentiert Marcus G. Lindner im Vorbeihuschen.

«Wir zelebrieren den kleinen Luxus»
Getreu dem gastronomischen Leitmotiv «Seeking the unknown», das durchaus als Titel für einen Agentenfilm taugt, err